MiA. - „Limbo" (VÖ: 27.03.2020)
Das Klischee von Bands, die schon ein, zwei oder sogar mehr Jahrzehnte auf dem gemeinsamen Buckel haben, geht ja so: Wenn man es nach all der Zeit überhaupt noch miteinander aushält, dann nur, wegen einem einzigen riesigen Kompromiss. Da reist der eine von hüben, der andere von drüben an, man spielt seinen Stiefel runter – ganz egal ob im Studio oder auf der Bühne - und dann geht’s wieder zurück in getrennte Leben. Bei MiA. ist das anders, ja, man könnte sogar sagen: genau andersherum. Sängerin Mieze Katz, Schlagzeuger Gunnar Spies, Bassist Robert »Bob« Schütze und Gitarrist Andy Penn sind eine Band, die über die Jahre immer mehr zueinander gefunden hat. Das ist erstaunlich. Mehr noch: besonders. Und schön ist es auch.
Dieses neue Selbstverständnis und der Glauben an sich selbst kommen nicht von ungefähr. Vor gut drei Jahren haben MiA. ihren 20. Geburtstag gefeiert. Zwei Jahrzehnte und sechs Alben einer Band, die seit ihrem Debüt aus dem Jahr 2002 mit jedem neuen Album und Hits wie »Hungriges Herz«, »Tanz der Moleküle« oder »Fallschirm« ständig gezeigt hat, dass sie weiterkommen will, sich selbst fordert und die Kunst immer wieder anders anpackt. Ihr Jubiläum nennen MiA. »Nie wieder 20!« - und der Name ist Programm. Der erste von vielen Neuanfängen.
Die Band trennt sich von ihrem langjährigen Kreativteam aus Label und Management. Von jetzt an ist man erst mal auf sich alleine gestellt. Auch, was die vielen Fragen angeht, die so ein Geburtstag mit sich bringt: Was hat MiA., was haben aber auch Mieze, Andy, Gunnar und Bob für Wünsche, Träume und Vorstellungen? Was kommt nach diesen 20 Jahren? Wer ist man da als Band, aber auch als Mensch? Macht man weiter? Wie selbstverständlich ist das? Jetzt und in Zukunft? Und überhaupt: Warum MiA.?
Was bei der Suche nach Antworten auf die Fragen hilft, ist das Jubiläum selbst. MiA. lassen ihre eigenen Songs durch die kreativen Augen und Ohren anderer Künstler deuten. Die Stücke finden den Weg aus dem Kreis der Band zu anderen, werden neu interpretiert und schließlich wieder in das Repertoire der Band auf der Bühne integriert. Das muss man zulassen, aber wenn man es tut, passiert etwas. Denn mit einem Mal fließen diese ganzen Jahre Text und Ton noch mal ganz anders durch die Vier hindurch. Rütteln wach, tun gut und machen Mut.
Das Öffnen, das Rausgehen, das Erfahren – all das sorgt für eine neue Selbstwahrnehmung und einen neuen Umgang miteinander. In Produzent Mic Schröder findet die Band nur einen Steinwurf vom Berliner Band-Proberaum entfernt den richtigen Mann für dieses Vorhaben. Einen, den man gerne reinlässt. Kein Fremder, ein Freund. Noch so ein Neuanfang. Einer, der sich richtig anfühlt. Bei dem etwas passiert. Mit Mic Schröder entwerfen MiA. den Sound fürs Album: Modern, aber dennoch weit entfernt von dem, was im Pop gerade präsent ist. Zeitgemäß trifft es wohl eher. Erdig, atmosphärisch und organisch noch viel besser – ihre eigene Idee von Pop.
Die Stücke eint eine gewisse Kraft: Energie und Spannung in jedem Instrument und auch in jedem Wort. Denn noch etwas ist anders: Mieze Katz und die Jungs arbeiten gemeinsam an den Texten. Das macht etwas mit den Songs. Genauso wie der Umstand, dass die Band das erste Mal Songs von der Idee bis zum Vocalrecording gemeinsam und im Kollektiv erarbeitet.
Aber den Neuanfang, die Suche und Selbstfindung zum Thema des neuen Albums zu machen, wäre zu einfach. Einfallslos, zu sehr Nabelschau. Stattdessen haben MiA. all diese Erlebnisse und Erkenntnisse, Gedanken und Gefühle der letzten zwei und genauso wie der letzten zweiundzwanzig Jahre mit in die Produktion der neuen Platte genommen. Man hört es den Songs an, ohne, dass sie direkt davon erzählen. Man hört das Wachsen, aber auch den Wachstumsschmerz. Genauso wie die Liebe und die Euphorie, die ihnen innewohnt.
Da ist zum Beispiel »KopfÜber« - ein Plädoyer für den Neuanfang und gleichzeitig eine Umarmung des Ungewissen. »Wer hat gesagt, das alles ist vorherbestimmt?« MiA. begegnen der Grübelei mit einer gehörigen Portion optimistischem Pragmatismus. Mit Neugierde und Mut. Zufall oder Sinn? Ende oder Neuanfang? Was heißt das schon? Alles nur Begrifflichkeiten. Stattdessen lassen MiA. die Zweifel einfach Zweifel sein und laufen los: Mit dem Herz in der Hand, kopfüber – ein Sprung ins kalte Wasser. Fühlt sich gar nicht so schlecht an.
»Ich spür den Puls, er reißt mich mit sich / also gehen wir los, leben wir los!«, singt in »Tortenguss«, einem Song über den Moment der Geborgenheit im Chaos, über Anmut im Gewitter der Großstadt und die Ausstrahlungskraft eines Ortes, an dem man bereit ist, sich überrumpeln und einnehmen zu lassen. Einfach Augen zu und durch - und dann direkt rein ins Herz.
Und dann ist da noch »Limbo«: Ein Song über, nun ja, Limbo tanzen - und zwar vom Fahrstuhl zum Schafott, Lieblingslieder aus dem letzten Loch pfeifen, nicht den Teufel, sondern Smilies an die Wand malen. Warum? Nun, weil MiA. es können. Zwischen Harmonie und Diskrepanz, Übermut und Verstand, halbvollen und halbleeren Gläsern, ist »Limbo« ein Song für die Momente, in denen Herzen lauter schlagen als die Angst – und der Titelsong des Albums.
Denn »Limbo« ist ein Album über eine Haltung, ja, eine neue Art von Verantwortung, die MiA. für sich selbst übernommen haben. Eine Standortbestimmung. Eine Platte, die klingt, als sei die Band zurück in ihrem Zentrum. Ein Album mit Liedern, die die Frage »Warum MiA.?« ganz von alleine beantworten.
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