Von den rund 15.000 Menschen, die auf Martha’s Vineyard leben, einer kleinen Insel südlich von Cape Cod in Massachusetts, hört man für gewöhnlich immer nur dann etwas, wenn einige wenige ihrer Mitbewohner es mal wieder in
die Headlines geschafft haben.
Ähnlich wie in den Hamptons drüben in New York, geht all der Glanz an die Kennedys, die Clintons, David Letterman oder welcher magazintitelzierende Promi gerade einmal wieder seinen Sommerurlaub hier verbringt. Einen Steinwurf und doch Lichtjahre entfernt von den noblen Cocktailpartys und dem Hollywood-Glamour befindet sich der behagliche Arbeiterklassenhaushalt, in dem der brüderliche Kern von Family of the Year – Joe [Gesang, Gitarre] und Sebastian Keefe [Drums, Gesang] – seine prägenden Jahre verbrachte, nachdem sie aus dem walisischen Wrexham hergezogen waren. Lange bevor die Brüder sich mit ihren Bandkollegen James Buckey [Gitarre, Gesang] und Christina Schroeter [Keyboards, Gesang], zusammenschlossen, mit „Hero“ einen gewaltigen Hit landeten, der fast 200 Millionen Streams sammelte, ihnen zahllose Werbedeals und weltweite Touren einbrachte, können sie sich an lebensprägende Momente auf „der anderen Seite“ von Vineyard erinnern.
Viele dieser Erinnerungen sprudeln auf „Goodbye Sunshine, Hello Nighttime“ an die Oberfläche, ihrem vierten Studioalbum und gleichzeitigen Debüt bei Warner Bros. Records. „Eine der Begleiterscheinungen des Lebens an so einem Ort ist, dass er ein Knotenpunkt und ein Schmelztiegel ist“, erklärt Sebastian. „Man kommt mit einer Vielzahl unglaublicher, talentierter und weltgewandter Menschen in Kontakt. Auf der einen Seite ist es inspirierend, den Rasen eines Filmstars zu mähen. Andererseits ist es ein bisschen frustrierend. Wir lebten in diesem winzigen Haus. Joe und ich teilten uns ein Zimmer und mein Drum-Set war zwischen unsere Betten gezwängt.“ „Musik war eine Ausflucht“, fügt Joe hinzu, „Wir knüpften damit eine Bande zu einigen unserer – bis zum heutigen Tage – besten Freunde.“
„Wenn du nach der Schule nirgends sein musst, verbringst du halt ungezählte Stunden damit, das Spielen von fucking Nirvana- und Led-Zeppelin-Songs zu erlernen und mittags um 12 Gras zu rauchen“, lacht Sebastian. „Sowas machte man halt, wenn deine Eltern nicht präsent waren oder die ganze Nacht arbeiteten“. Es legte den Grundstein für den stillen Aufstieg der Band. Nach der Veröffentlichung ihres Albums „Songbook“ (2009) tourten sie unermüdlich und bauten organisch eine hingebungsvolle Fangemeinde auf. 2012 folgte die Veröffentlichung von „Loma Vista“. In der Folge wurde die Band von Medien wie USA Today , Entertainment Weekly , Billboard , Interview Magazine und Paste gerühmt und trat bei „Jimmy Kimmel LIVE!“, „Conan“ und weiteren auf. Die Durchbruch-Single „Hero“ erlangte zunächst durch den Trailer und Soundtrack des Oscar-nominierten und Golden-Globe-ausgezeichneten Films „Boyhood“ Bekanntheit und steht heute bei über 170 Millionen Spotify-Streams. In Deutschland kam der Song auf Platz 7 in den Offiziellen Single-Charts und hat Platin-Status. Nach der anschließenden Tour zum selbstbetitelten Album „Family of the Year“ begannen sie mit der Arbeit an neuer Musik. Das Quartett zog sich im Januar 2016 zunächst in ein angemietetes Haus in Mount Washington zurück, bevor sie sich über den anschließenden Frühling in Bear Valley Springs eingruben.
„Wir entschieden uns, für dieses Album bei null anzufangen“, erinnert sich Joe. „Während wir unser letztes Album machten, waren wir auf Tour, und wir setzten einfach Teile anderer Ideen zusammen. Nun hatten wir eine unbeschriebene Tafel. In Bear Valley Springs verbrachten wir zwei Monate damit, aufzuwachen und dann den ganzen Tag über persönliche Songs zu schreiben. Es war eine verdammte emotionale Achterbahnfahrt.“ Denn zugleich begannen sich die zwischenmenschlichen Beziehungen unter dem Gewicht von zu viel gemeinsam verbrachter Zeit auf den Touren und dem intensiven kreativen Druck abzunutzen.
„Wir tranken und nahmen eine Menge Drogen“, gibt Sebastian zu. „Wir dachten, wir würden Magie erschaffen, aber wir verkackten es einfach nur. Wir sind durchgedreht. Mir war klar, dass ich zu viel trank und zu mir nahm, also hörte ich auf. Die Band ist durch eine verdammte Identitätskrise gegangen. Wir wollten etwas Tiefschürfendes schreiben, aber durch all die Partymacherei lief es nirgendwo hin. Ich nahm für mich Veränderungen vor. Wir alle nahmen Veränderungen vor. Es ging darum, bedachtsamer und introspektiver zu sein und jenen um mich herum mehr Respekt entgegenzubringen. Es war ein philosophischer Paradigmenwechsel. Er musste geschehen, damit wir unser Potenzial in Sachen Ehrlichkeit, Verletzlichkeit, Zufriedenheit und Kreativität erreichen.“ In dieser Phase mussten die Brüder zudem den Verlust ihrer Mutter verkraften, wodurch das Konzept von „Zuhause“ für Joe in den Fokus rückte.
Womit wir auch schon beim Album und einem seiner herausragenden Songs wären, „Latchkey Kids”. Getränkt in verträumten Mitsumm-Harmonien, kraftvoller Percussion und makellosen Gitarren, skizziert der Song ein Bild davon, wie
„mom worked overtime and dad was gone”, aber “I could be whatever I wanted”. „Ich finde es schwach, wenn Leute sich darüber beschweren, wie sie in einem kaputten oder armen Elternhaus aufgewachsen sind“, sagt Joe. „Ich wollte einen Song darüber schreiben, wie großartig es war, dass wir in unserer Jugend die Freiheit hatten, zu tun, was immer wir wollten. Ich liebe die Tatsache, dass unsere Eltern nicht reich und streng waren. Das hat mich zu dem gemacht, der ich heute bin. Ich habe mit den schlechten Kids abgehangen und gefährliche und dumme Dinge getan. Ich war einer Menge beängstigendem Kram ausgesetzt und dadurch gezwungen, den Wert dessen zu würdigen, was ich habe. Ich weiß nicht, wie zum Henker ich ticken würde, wenn ich das nicht erlebt hätte.“ „Das ist eine sehr akkurate Beschreibung unseres damaligen Lebens“, bestätigt Sebastian. „Zugleich hätte Joe nichts dagegen einzuwenden gehabt, auch etwas von den anderen Dingen abzubekommen. Aber das ist Teil seiner Persönlichkeit. Er sieht die positiven Dinge, während ich der niedergeschlagene Typ bin“, lacht der Drummer.
Die mitreißende Lead-Single „Hold Me Down“ mischt tanzbare Synthies, Keyboard und produzierte Elemente mit einem vorwärtstreibenden, von Händeklatschen getragenem Gesang. „Er handelt von dem Wunsch nach jemandem, der dir dabei hilft, zur Ruhe zu kommen und der zu werden, der du sein willst“, fährt Joe fort. „Die Welt ist ein verrückter Ort und man braucht Hilfe dabei, die Kurve zu bekommen und sich sicher zu fühlen.“ Dann gibt es noch das darauffolgende „Let Her Go“. Über spärliche Klavierakkorde setzt die Eröffnungszeile den Ton für einen neuen Anfang – „Do you want to know how far I’ve come?” . „Es ist ein Breakup-Song“, sagt Christina. „Du versuchst zu beweisen: „No, I’m different now, so let’s give it another shot’. Es fällt so schwer zu akzeptieren, wenn jemand gegangen ist.“ Über diese Reise sind Family of the Year enger zusammengewachsen als je zuvor. Unter dem Strich nahm ihr Bandname eine komplett neue Bedeutung an. „Wir versuchen einfach, uns die Familie zu erschaffen, die wir niemals hatten“, schließt Sebastian. Joe ergänzt: „Ich habe eine Band gegründet, damit ich nie wieder allein sein muss. Der Name stammt von einer Familie in Newport Beach, die den „Family Of The Year “-Award gewann . Von außen betrachtet, sahen sie perfekt aus. Ein paar Jahre später fand jeder heraus, dass sie extrem abgefuckt waren. Ich hatte diesen Running Gag in meinem Kopf, dass wir zwar eine dysfunktionale Familie sind, aber trotzdem eine, die zusammenhält. Keiner von uns fühlt sich einsam.“
Made with ❤ at zwetschke.de