Fünf Menschen als Schicksalsgemeinschaft auf Zeit
Schnell finden die beiden ihr Abteil. Drin sitzen bereits zwei junge Herren: "Man hat uns gesagt, dass ihr noch zusteigt. Da haben wir noch abgewartet", erklären sie. Piet ist Architekt-Doktorand aus Berlin, Nico ist auch aus Berlin und hat mal in Erfurt studiert, erklärt er. Sein Mitreisender Dimitja ist noch schnell rausgesprungen, um seiner Freundin den - verspäteten - Adventskalender am Bahnsteig zu übergeben. Sie sind also zu fünft, in dem Abteil passen maximal sechs Menschen.
"Man kann sich nicht aus dem Weg gehen"
Das Abteil ist vielleicht drei Meter lang und zwei Meter breit. Die roten Sitzbänke mit Stoffbezug, auf denen die Fünf sitzen, werden nachher zu Betten umfunktioniert.
Piet ist schon oft Nachtzug gefahren, aus Hamburg zum Beispiel in die Alpen. Bis 2014 hat die Deutsche Bahn zahlreiche Nachtzugfahrten angeboten, aber diese dann eingestellt. Nun baut ÖBB sein Angebot immer weiter aus. Piet schätzt den Service: "Das Gute ist ja, du wirst hier gut bewirtet. Für jedes Zugabteil gibt es jemanden, der sich um das Wohl kümmert", erklärt er den beiden Neunachtzüglern. Allerdings ist es recht eng, so zu fünft in ein Abteil. "Man kann sich nicht aus dem Weg gehen", sagt Piet. "Es ist alles ziemlich kommunikativ gestaltet."
Zwischen Bier und Krimi
Es wird sich noch ein Bier geholt, auch wenn so spät abends die Suche ein bisschen schwierig war, sagt Benjamin. Es wirkt ein bisschen wie ein Geisterzug, weil viele schon schlafen und ihre Abteile zugezogen haben. Auch als Julia zur Toilette geht, fühlt sie sich ein bisschen wie in "Mord im Orient Express". Die Wände der Gänge sind kahl und wirken kalt.
Im Abteil ist es jedoch warm und gemütlich. Die Stimmung ist bei Bier und guten Gesprächen entspannt und ausgelassen. Über Nacht müssen sich die Bahnreisenden auch weniger Gedanken über Umstiege, Verspätungen und Ausfälle machen. "Es ist wie eine Zeitreise", beschreibt Dimitja die Fahrt mit dem Nachtzug. "Man schläft zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort ein und wacht zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort auf."
Schnarchen ist nicht das Problem
Gegen halb eins wird das Fünfergespann müde. Die Bänke werden hochgeklappt, sodass insgesamt 6 Betten entstehen, drei auf jeder Seite übereinander. Mit einer Leiter kommt man nach oben. Es gibt ein Laken, das wie ein Schlafsack funktioniert, in den man reinschlüpfen kann, eine Wolldecke und ein Kissen. Julia machte sich im Vorfeld noch Gedanken, ob die Mitreisenden schnarchen würden und hat Ohrstöpsel mitgenommen. Das Schnarchen ist jedoch weniger das Problem: die Liegen halten tatsächlich viele Geräusche der Mitreisenden ab. Allerdings wippt der Zug ganz schön und die Matratzen sind hart. Es braucht lange, bis Julia und Benjamin in den Schlaf finden. Sie können letztendlich schlafen, haben aber eine unruhige Nacht.
Den anderen dreien erging es da wohl besser: "Ja, ich bin zweimal aufgewacht", sagt Ex-Erfurter Nico. "Aber ich habe eigentlich ganz gut geschlafen." So sehen es auch die anderen beiden.
Frühstück ans Bett
Gegen 8:30 Uhr klopft es gegen das Abteil: "Kaffee oder Tee?", fragt ein Schaffner. Nach und nach bekommen alle ihr Frühstück: ein Heißgetränk, zwei Brötchen mit Marmelade und Butter. Nichts Großartiges, aber es macht satt. Langsam geht die Wintersonne auf, die Vorhänge werden aufgezogen und die Fünf frühstücken, während die Landschaft Belgiens vorbeizieht.
Die Magie des langsamen Reisens
Irgendwann in der Nacht wurde der Zug geteilt, ein Teil geht nach Paris, der andere nach Brüssel. Obwohl die Fahrt nachts war, müssen die Reisenden trotzdem mit einer Verspätung rechnen: circa eine Stunde später als geplant, wegen einer Verspätung eines ICEs. War ja klar.
Aber auch ohne Verspätung dauert die Reise von Erfurt nach Brüssel gute zehn Stunden. Das geht mit dem ICE deutlich schneller (ca. 4 1/2 Stunden). Allerdings kommen Julia und Benni einigermaßen erholt in Brüssel an: "Wir haben jetzt noch den ganzen Tag vor uns, um Brüssel zu erkunden!", freut sich Julia. Julia und Benjamin können die Fahrt mit dem Nachtzug empfehlen, besonders für aufgeschlossene Menschen, die ein bisschen auf Abenteuer stehen. Sie beide werden aber wohl trotzdem nächstes Mal ein Privatabteil buchen. Denn dort gibt es richtige Matratzen.