Was zum Krawall in Chemnitz führte
Am Sonntag, dem 26. August 2018, wurde ein 35-jähriger Deutsch-Kubaner am Rande des Chemnitzer Stadtfestes durch mehrere Messerstiche getötet. Tatverdächtig sind ein Syrer (23) und ein Iraker (22). Gegen beide wurde bereits ein Haftbefehl erlassen. Das Tatmotiv ist bisher unbekannt. Im Netz kursierten kurzerhand Gerüchte zum Geschehen. Landespolizeipräsident Jürgen Georgie dementierte, dass der Tat ein sexueller Übergriff der mutmaßlichen Täter auf eine Frau voranging. Es kam wohl zum Streit zwischen zwei Männergruppen, bei dem im Verlauf Messer gezückt worden sind. Neben dem Opfer wurden dabei zwei Männer schwer verletzt. Notwehr wird derzeit ausgeschlossen.
Das Stadtfest wurde vorzeitig abgebrochen. Die AfD rief daraufhin zum spontanen Protest in der Chemnitzer Innenstadt auf, an der hunderte Menschen teilnahmen. Der AfD-Abgeordnete Markus Frohnmaier hatte dazu am Sonntag getwittert: „Wenn der Staat die Bürger nicht mehr schützen kann, gehen die Menschen auf die Straße und schützen sich selber. Ganz einfach!“
Laut der Polizei verlief diese friedlich. Zusätzlich zu dem Aufruf der AfD instrumentalisierten Rechtsextreme der Fußballvereinigung, „Rechte Ultrafußballvereinigung Kaotic Chemnitz“, über soziale Kanäle für ihre Zwecke mehr als 800 Gleichgesinnte. Der SPD-Innenexperte Burkhard Lischka: "Es gibt in unserem Land einen kleinen rechten Mob, der jeden Anlass zum Vorwand nimmt und nehmen wird, seine Gewaltphantasien von bürgerkriegsähnlichen Zuständen auf unsere Straßen zu tragen." Vor Ort waren nur geringfügig Polizisten im Einsatz.
Weitere Demonstrationen – bisher kein Ende in Sicht
Für den Montag (27. August 2018) wurden erneut Protestaktionen der rechtspopulistischen Organisation „Pro Chemnitz“ und linker Gegendemonstranten angemeldet. Die Polizei begleitete beide im Großeinsatz mit dem Versuch, sie voneinander zu trennen. Es wurde mit „nur“ hunderten Beteiligten gerechnet, tatsächlich daran teilgenommen hatten aber mehrere Tausend. Rechtsradikale aus dem ganzen Bundesgebiet waren angereist. Die Polizei berichtete von starken Unruhen, Einsatz von Pyrotechnik und Flaschen, Vermummungen und Hitlergrüßen. Immer wieder wurden dabei auch ausländische Passanten angegriffen.
Die Aktion wurde am Abend gegen 21.30 Uhr beendet. Nach der Auflösung der Demonstration gestand die Polizei ein, die Lage unterschätzt zu haben und räumte einen Personalmangel ihrerseits ein. Weitere Einsatzkräfte wurden dann aus Leipzig und Dresden angefordert.
Der Bundesinnenminister Horst Seehofer, der anfangs wegen seines Schweigens stark vom Grünen-Politiker Konstantin von Notz kritisiert wurde, äußerte sich am Dienstag in Berlin zur Unterstützung der örtlichen Polizei: „Die Polizei in Sachsen ist in einer schwierigen Situation. Sofern von dort angefordert, steht der Bund mit polizeilichen Unterstützungsmaßnahmen zur Verfügung. […]. Aber ich will auch ganz deutlich sagen, dass dies unter keinen Umständen den Aufruf zu Gewalt oder gewalttätige Ausschreitungen rechtfertigt.“
Der sächsische Verfassungsschutz hält eine Beteiligung von rechtsextremen Hooligan-Gruppierungen für möglich.
Nach der Auswertung der Protestaktion wurde bekannt, dass 20 Personen (18 Demonstranten und 2 Polizisten) verletzt worden sind. Insgesamt wurden 43 Anzeigen erstattet, u.a. wegen Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (10), Landfriedensbruch (2), Körperverletzung (11) und Verstoß gegen das Versammlungsgesetz (3). Der ehemalige Chef der Grünen, Cem Özdemir, stellte wegen den Hitlergrüßen Anzeige gegen Unbekannt.
In den anderen Bundesländern gibt es ebenfalls Reaktionen zur aktuellen Lage.
Nach den Ausschreitungen in Chemnitz trafen in Düsseldorf vor dem Landtag etwa 150 der rechten Fraktion auf 250 Gegendemonstranten. In Dresden fanden am Dienstagnachmittag Proteste statt. Auch in Köln kam es am Dienstag zu Ausrufen der rechten Organisation „Begleitschutz Köln“ mit 100 Beteiligten und der Gegendemonstranten „Köln gegen Rechts“, „Antifa“ und „Kein Veedel für Rassismus“. Diese verlief jedoch friedlich.
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) äußerte sich zu den Vorfällen: „Wir haben Videoaufnahmen darüber, dass es Hetzjagden gab, dass es Zusammenrottungen gab, dass es Hass auf der Straße gab, und das hat mit unserem Rechtsstaat nichts zu tun.“
Anlässlich des Besuches des Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) wird am Donnerstag mit weiteren Aktionen der Rechtssympathisanten „Pro Chemnitz“ am Stadion gerechnet. Die Rechtsextremen riefen auch zu Spenden auf. Es werden etwa 500 Personen erwartet.
Am kommenden Montag, dem 3. September 2018, wollen die Rapper Marteria und Casper um 19 Uhr am Karl-Marx-Kopf in Chemnitz entgegen der Krawalle auftreten. Die Mahnwache soll noch bis Mittwochmittag dauern.
Veröffentlichung des Haftbefehls
Mittlerweile geriet der Haftbefehl gegen die mutmaßlichen Täter durch Rechtsradikale an die Öffentlichkeit. Diese enthalten u.a. Details zur Tat, Namen der Verdächtigen, des Opfers, der Zeugen und der Richterin. Es wurde bereits ein Ermittlungsverfahren eingeleitet nach Paragraph 353 b, der Verletzung von Dienstgeheimnissen. Bisher ist noch unklar, wie der Haftbefehl veröffentlicht werden konnte. Es handle sich offenbar um einen „Leak“.
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